Irgendwann war es nicht mehr zu leugnen: ich brauchte dringend neue Unterwäsche. Besonders meine über die Jahre angesammelten BH´s waren bald nicht mehr zu flicken. Dabei fiel mir auf: ich habe mich noch nie in einem echten Unterwäschegeschäft von einer professionellen Einzelhandelskauffrau beraten lassen.

Deshalb besitze ich auch kaum Büstenhalter, die nicht irgendwo kneifen, geschweige denn richtig perfekt sitzen.
Jetzt habe ich zur Zeit leider wieder nicht die Möglichkeit, eine solche Boutique aufzusuchen, da es in der Nähe meines Wohnortes schlicht keine gibt. Die einzige Möglichkeit an neue Unterwäsche zu kommen, war also mal wieder das Internet. Dabei mache ich das, allen technische Neuerungen zum Trotz, gar nicht gerne. Besonders nicht bei Kleidung. Die hätte ich schon lieber vorher mal befühlt und anprobiert. Und der Kauf eines neuen BH´s ist sowie so immer eine delikate Sache. Welche Frau kennt schon ihre genaue Größe?!? Besonders weil sich nicht nur der eigene Körper, sondern auch die Größenbezeichnungen dauernd ändern. Ganz schlimm ist es, wenn die Textilien aus China kommen. Da ist sogar eine XXL-Größe für Normalos noch zu klein! Was für ein gehässiger Angriff aus dem Land der Lotusblüten auf das labil gebaute, deutsche Selbstwertgefühl!

Wie dem auch sei, ich beschloss, mal was zu riskieren und mir nur anhand von Fotos und den blumigen Versprechungen eines pfiffigen Werbetexters einen Büstenhalter in einem Onlineshop zu bestellen.
Mit der merkwürdigen Umrechnungstabelle allerdings, die ich auf der Seite fand, um meine genaue Größe zu bestimmen, konnte ich nicht wirklich etwas anfangen. Also recherchierte ich zur Sicherheit noch vor der Bestellung in diversen Foren, wie man denn jetzt seine genaue BH-Größe herausfindet.
Mit Schrecken stellte ich fest, daß die Messtabellen mir vorschrieben, daß ich meine Mädels mitlerweile in ein C-Körbchen packen soll! Ich hatte mich bis dahin immer für ein bescheidenes B-Körbchen-Mädchen gehalten.

Meine penible Mess-Aktion hatte außerdem ergeben, daß ich laut der Tabelle des Anbieters eine M-Größe brauchen würde, was mich kurz bedenklich stimmte. Mit M-Größen bin ich zwar früher immer gut gefahren, aber in letzter Zeit begannen Textilien, die als Größe M klassifiziert wurden, doch etwas um die Mitte herum zu kneifen. Ich schob das immer darauf, daß die meisten Klamotten ja doch immer irgendwie aus China kommen und die spindeldürren Manga-Mädchen da drüben einfach keine Vorstellung davon haben, wie eine gut proportionierte Europäerin auszusehen hat... Aber zum Glück war dies ja kein chinesischer Anbieter. Ein kurzer Blick ins Impressum verriet mir, daß diese Firma ihren Sitz in den USA hatte … und deren Durchschnittsdamen haben noch viel gewaltigere Ausmaße als meiner Einer.
Ich war guter Dinge und bestellte mir also ein schönes weißes Exemplar in Größe „M“, gab ausgiebig meine Versandadresse ein, bezahlte und erhielt auch prompt eine freundliche E-Mail in der mir zu meiner Entscheidung, so ein hervorragendes Produkt erworben zu haben, gratuliert wurde.
Dann hieß es erst einmal warten.
Da Warten nicht gerade zu meinen ausgewiesenen Stärken gehört, fand ich natürlich auf der Seite gleich den Link, mit dem man seinen Bestellstatus und den Versand verfolgen kann. Nach einigen Tagen des geduldigen aber gespannten Wartens fragte ich mich, ob die Baumwolle für den BH erst noch von Hand gepflückt werden musste. Selbst wenn die Textilie aus den USA kam, sollte sie sich doch so langsam mal meinem Standort genähert haben. Also vergrub ich mich ein wenig tiefer in die weniger besuchten Seiten des Onlineshops und stellte mit Entsetzten fest, daß ich frech an der Nase herum geführt worden war! Der Betreiber der Seite hatte seinen Sitz zwar in Amiland aber seine Klamotten kamen doch aus China! Gerade das wollte ich doch vermeiden!
Weitere endlos lang erscheinende Tage des Wartens später erhielt ich tatsächlich ein Päckchen, genauer gesagt, einen größeren Umschlag und ein Blick auf den Absender bestätigte mir, daß das Teil tatsächlich den weiten Weg aus China zu mir gefunden hatte. Zugegebenermaßen war es recht hübsch verpackt, liebevoll präsentiert und man hatte sogar ein winziges Origami-Irgendetwas-Give-Away-Dings-Bums mit dazugelegt, daß nach kurzer, aber kritischer Betrachtung meinerseits allerdings als „Krimskrams“ bzw. „Staubfänger“ klassifiziert wurde und ohne Umschweife mit der Verpackung im Müll landete. Jetzt galt meine ganze Aufmerksamkeit meinem neuen formgebenden und den Vorbau hoffentlich ohne zu kneifen an Ort und Stelle haltenden Büsten-Textil. Es erstrahlte im wunderbarsten weiß, war mit sehr schöner Spitze verziert, die allerdings auch gleichzeitig als Halterung dienen sollte, was mich dann doch etwas an der Stabilität zweifeln ließ. Ausgebreitet auf dem Sofa schätzte ich nun die tatsächliche Größe ab und hoffte inständig auf eine Extraportion Elastan im Mischgewebe, denn mir schwante, daß das Ding auch wieder China-Maße hatte. Ich würde es rausfinden müssen und schwuppdiwupp entledigte ich mich meiner Oberbekleidung, hüpfte mit meiner Neuerwerbung vor den Spiegel und streifte mir das Bustier über … denn nichts anderes war es. Ein blödes Bustier mit angenähten Spitzenflügelchen, die man über kreuz unter der Brust einhakten musste. Zuvor pulte ich noch die Einlagen heraus. Wer braucht denn sowas, wenn man eh schon zu viel Brust hat?!? Noch während ich Kopf und Arme durch die Öffnungen zwängte, ohrfeigte ich mich in Gedanken, daß ich wieder auf so ein blödes Werbefoto reingefallen bin, auf dem nur bis zur absoluten Unkenntlichkeit retuschierte Magermodels mit gebauten Brüsten vorteilhaft aussehen. Aber es sah so süß aus auf dem Bild auf der Webseite und ich wollte auch so süß aussehen. Was mir da allerdings im Spiegel entgegen schaute, war alles andere als süß! Das verdammte Teil, von dem ich mir so sehr versprochen hatte, daß es passen und gut sitzen würde, war natürlich viel zu eng! An allen Ecken und Enden quollen Hautröllchen heraus, von deren Existens ich bis dato überhaupt keinerlei Kenntnis hatte! Meine unglücklichen Mädels wurden gnadenlos plattgequetscht und die Spitzendinger, die die Mädels eigentlich anheben und in der richtigen Position halten sollten, sorgten nach zwei Minuten erst für Beklemmungen und dann für eine ausgewachsene Atemnot.
Büstenhalter, die die vorhandene Brust vorne plattquetschen, dafür aber am Rücken neue Hügellandschaften entstehen lassen, kann ich nicht gebrauchen. Zumal das Ding nach einmaligen Tragen bereits bewiesen hat, daß es nicht in der Lage war, meine Figur zu formen, sondern sich von meiner Figur hat verformen lassen! Ich muss wohl einsehen, daß ich zu teutonisch gebaut bin, um meine Rundungen mit Spitzen und Rüschen in Schach halten zu wollen. Was mich betrifft, ist das Experiment, Kleidung im Internet zu bestellen kläglich gescheitert. Ich werde diesen digitalen Onlineshops auch keine zweite Chance gewähren, denn ich bummele gerne durch analoge Geschäfte. Außerdem, wenn ich mich mal entschieden habe, etwas zu wollen, dann will ich es sofort und möchte nicht noch tagelang auf meine Bestellung warten müssen, die dann nicht mal passt und egal, wie groß man sie bestellt, auch noch zu klein ist!
Aber die gehässige Botschaft entsandt von 35-Kilo leichten Lotusblümchen aus dem Land des ewigen an die Ohren getackerten Lächelns ist trotzdem angekommen:
Ich bin zu fett.