Corona-VirusNeulich ist mir aufgefallen, was ich für ein wahnsinniges Glück habe! Da geht gerade dieses Schreckgespenst in Gestalt dieses SARS-CoV-2- Virus aus der Familie der Coronaviren um.

Man kann es nicht sehen, nicht riechen, nicht anfassen aber auf der ganzen Welt infizieren sich jeden Tag Menschen mit diesem Virus und erkranken mal mehr mal weniger schwer an „COVOID-19“ und einige sterben sogar daran. Überall melden sich Fachleute zu Wort und versuchen aufzuklären, was das eigentlich für eine Krankheit ist, die dieses Virus auslöst und wie man sich vor einer Infektion schützen kann. Indes haben andere „Experten“ nichts Besseres zu tun, als Panik, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Während die ganze Welt in Aufruhr ist und mancherorts losgerannt wird, um verständnisloserweise wie die Irren Vorräte an Toilettenpapier zu bunkern, mit dem sich sogar noch die Urenkel in Jahrzehnten die verwöhnten Pöter abwischen können, sitze ich hier in meiner kleinen Casita mit meinem Mann und meinem Kleintierzoo etwas außerhalb der Zivilisation auf des Deutschen liebster Urlaubsinsel bereits seit über zehn Tagen in staatlich angeordneter Quarantäne. Wir halten uns alle an die allgemeine Ausgangssperre, ob wir gesund sind oder nicht.
In Spanien hat man schneller reagiert und keine großen Bedenken gehabt, das Volk in ihrer Bewegungsfreiheit empfindlich einzuschränken. Jeder, der nicht zur Arbeit muß oder zum Arzt oder zum Einkaufen, hat zu Hause zu bleiben und die Leute halten sich streng daran. Kein Murren, kein Knurren, keine Aufstände. Natürlich schwingt da überall ein kleiner Hauch von Existenzangst mit. Die Geschäfte, die keine Lebensmittel verkaufen sind geschlossen, und auch alle Touristen wurden wieder nach Hause geflogen. Eigentlich sollte in einer Woche die Saison wieder beginnen. Jetzt wurde die Ausgangssperre sogar noch um zwei Wochen verlängert bis Mitte April … aber selbst wenn wir in drei Wochen wieder raus dürfen, nützt das den meisten Einwohnern, die hier vom Touristengeschäft abhängig sind gar nichts, wenn die Touristen zu Hause immer noch alle eingesperrt sind… das dicke Ende wird noch kommen. Aber bis dahin sind wir alle erst mal ganz entspannt und warten ab.
Es gibt bestimmt schlimmeres, als bei warmen Sonnenschein auf der Terrasse zu sitzen und seinen Katzen beim Spielen zu zusehen. Und diese Ruhe! Man kann sogar die Bienchen summen hören und auch die Vögelchen singen wieder.
Trotzdem musste ich heute das Haus verlassen. Mein letzter Einkauf war fast eine Woche her und meine Vorräte neigten sich empfindlich dem Ende entgegen. Ich war nämlich keine von denen, die nach Bekanntgabe der Ausgangssperre panisch die Läden leer gekauft hat… dafür war ich später eine von denen, die kopfschüttelnd vor leergeplünderten Regalen gestanden hat! Auch jetzt hatte ich nicht vor, zu Hamstern, sondern nur meinen ganz normalen Wocheneinkauf zu erledigen. Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme hatte ich mir überlegt, was es die nächsten Tage zu Essen geben sollte und meinen Einkaufszettel schon am Vorabend geschrieben. Mit mulmigem Gefühl im Bauch stieg ich ins Auto und machte mich auf den ca. zehn Minütigen Weg zum Supermarkt. Das mulmige Gefühl kam nicht daher, daß ich befürchtete, mich vielleicht am Einkaufswagen oder an der Obsttheke oder wo auch immer anzustecken, sondern, ich hoffte inständig auf dem Weg nicht von der Polizei angehalten zu werden. Man darf zwar einkaufen fahren, aber es darf nur eine Person im Auto sitzen und man muß es den Beamten irgendwie beweisen, daß man nur zum Einkaufen fährt. Und das auf Spanisch. Das ist jetzt nicht unbedingt das Problem, aber ich vermeide wo es geht, längere Gespräche mit den hiesigen Ordnungskräften. Besonders mit den Jungs von der Guardia Civil. Die haben nämlich keinerlei Humor von dem sie wüssten und ich hoffe jedesmal inständig, wenn sie sich wieder vor einem Kreisel aufgebaut haben, daß ich ihnen nicht irgendwie verdächtig vorkomme mit meinem klapprigen, bunt geflicken, alten Auto und sie mich bloß nicht raus winken. So eine Kontrolle ist nämlich alles andere als amüsant, wenn einer mit der Hand an der Waffe auf dich aufpasst, daß du ja keinen Muskel bewegst, während der Kollege dein Auto auseinander nimmt. Ist mir zum Glück noch nicht passiert … sehe wohl doch ganz harmlos aus … aber die Prozedur habe ich schon des Öfteren beobachten dürfen. Kein schöner Zeitvertreib.
Zum Glück waren die Straßen ziemlich leer und ich erreichte ungehindert den Supermarkt. Als ich meine kleine Karre auf den Parkplatz lenkte, standen da bereits, meterweit vom Eingang entfernt die Kunden mit ihren Einkaufswagen und warteten auf Einlass. Ich schnappte mir ebenfalls einen Einkaufswagen, und suchte das Ende der Schlange. Zur Einfahrt zum Parkplatz reihte ich mich mit ordentlich Abstand zu meinem Vormann ein und bereitete mich mental auf eine längere Wartezeit vor. Es könnte schlimmer sein… es könnte anfangen zu regnen! Aber die Sonne lachte vom Himmel und ich sah mir die Wartenden mal etwas genauer an. Einige trugen Handschuhe, andere Atemmasken oder beides. Aber die meisten, so wie ich, waren ohne irgendwelche „Verhüterlis“ unterwegs. Ein paar Plätze vor mir tratschten zwei ältere Mallorquinerinnen, allerdings auch mit gut zwei Metern Abstand zueinander, über Gott und die Welt, andere schwatzten in ihre Smartphones und teilten ihren Lieben zu Hause mit, daß der Einkauf sich wohl noch eine Weile hinziehen würde, ein älterer Herr murmelte auf dem Weg zu seinem Auto irgendetwas über den letzten Krieg, an den er sich wohl gerade erinnerte, aber die meisten waren still, warteten geduldig und rückten schweigend ein paar Meter weiter, jedes Mal, wenn vorne wieder jemand in den Supermarkt herein gelassen wurde. Eine Streife der Guardia Civil bog auf den Parkplatz ein und drehte eine gemütlich Runde im Kreis, vergewisserte sich, daß wir hier keine Aufstände anzettelten und fuhr wieder weg.
Es war alles ganz gesittet und diszipliniert. Niemand meckerte oder regte sich auf … und niemand schniefte, nieste oder hustete. Man hörte nicht mal jemanden sich räuspern. Anscheinend waren auch alle gesund. Kein Kranker hatte sich dazwischen geschummelt. Trotzdem bleiben alle vorsichtig.
Man ließ immer nur eine bestimmte Anzahl an Kunden gleichzeitig rein. Der nächste durfte erst eintreten, wenn wieder jemand den Laden verließ. Nach einer guten halben Stunde hatte ich die Zielgerade erreicht. Allerdings vergingen noch mal fünfzehn Minuten, bis man mich auch hereinließ. Ein netter Mitarbeiter, bewaffnet mit Handschuhen und Mundschutz wies mich an, meine Hände und den Griff des Einkaufwagens mit den bereitgestellten Einmaltüchern und Desinfektionsmittel zu desinfizieren und mir Einmalhandschuhe überzuziehen, was ich auch brav alles erledigte. Die Handschuhe waren dieselben übergroßen Dinger, die hier sowieso immer bereitstehen, weil auch zu „normalen“ Zeiten von einem erwartet wird, daß man das Obst, Gemüse und die Backwaren nicht mit bloßen Händen aus den Regalen nimmt.
Endlich konnte ich loslegen und meinen Einkaufszettel abarbeiten. Die Regale waren bis auf wenige Ausnahmen gut gefüllt. Ich bekam alles, was ich wollte, und musste nur wenige Kompromisse machen, weil dann doch das ein oder andere Produkt, das ich sonst immer kaufe, ausverkauft war und ich mich nach einer Alternative umsehen musste. Just in einem dieser Momente meldete sich plötzlich meine liebe, alte, längst verstorbene Großmutter zu Wort! Sie war Jahrgang 1912 und hatte zwei Weltkriege und deren Nachkriegszeiten überstanden! An sie musste ich denken, als ich mich gerade darüber aufregen wollte, daß ich mich mit halbfetter H-Milch zufrieden geben sollte, weil die Palette mit der normalen H-Milch immer noch oder schon wieder leer war! Sie hat zwar nie so wirklich vom Krieg erzählt, aber jetzt konnte ich sie hören: „Wir mussten mitten in der Nacht in den Keller flüchten, wenn wir denn einen hatten und wußten nicht, ob wir den morgigen Tag noch erleben würden, weil sich der Feind gerade mit seinen Bomben über unseren Häusern austobte! Und du empfindest es als Zumutung, mal ein paar Tage gemütlich zu Hause auf dem bequemen Sofa zu verbringen? Schäm dich! Du beschwerst dich, weil du gerade nicht alles kaufen kannst, was du zu brauchen meinst, weil andere schneller waren und dir alles vor der Nase weg geschnappt haben? Wir hatten nicht mal die Möglichkeit etwas zu kaufen! Wir hatten überhaupt nichts mehr zu kaufen! Wir haben gehungert! Schäm dich!“
Ich tat wie mir geheißen und schämte mich dafür, dass ich so ein stures Gewohnheitstier geworden war und versuchte etwas Positives daran zu finden, daß die Vollmilch und auch meine Lieblingschips gerade nicht zu bekommen waren. Das war leicht: dann wurde ich während der Ausgangssperre wenigstens nicht ganz so fett, wenn ich mich nicht jeden Tag hemmungslos mit fettigen Sachen vollstopfen konnte. Danke Omi! Ab und zu muss einem der Kopf mal wieder gerade gerückt werden … auch wenn es ein bisschen gruselig ist, daß sich ausgerechnet meine selige Großmutter dazu berufen fühlte, mich bei meinem Einkauf zu begleiten….
Allerdings erlitt ich kurz nach meiner Läuterung einen Rückfall, als ich vor dem ziemlich leergekauften Regal mit den Kaffeesorten stand. Anscheinend war meine gewohnte Sorte auch die Lieblingssorte von allen anderen, denn hier gab es nicht mal eine akzeptable Alternative, die ich in meiner Maschine zubereiten konnte. Hier lernte ich, daß dem Demütigen, das Glück hold ist, denn ich warf mich auf die Knie, stöberte hinter den leeren Kartons herum und fand doch tatsächlich noch die allerletzte, vergessene Packung unseres liebgewonnenen, täglichen Genussmittels und trug es triumphierend zu meinem Wagen. Vorsorglich versteckte ich den Kaffee unter dem Tiefkühlfisch. Nicht, daß mir noch jemand die Packung aus dem Wagen mopst, weil er sich auch nicht mit der entkoffeinierten Variante zufrieden geben wollte…
An den Kassen hielt wieder jeder artig Abstand und legte erst seine Waren aufs Band, als der Kassiervorgang des Vordermannes abgeschlossen war. Ich tat es ihnen gleich und packte meine Sachen erst aufs Band, als die Dame vor mir gegangen war und die Kassiererin genug Zeit hatte, sich die behandschuhten Hände zu desinfizieren. Sie trug eine Atemmaske und grüßte freundlich. Ich grüßte zurück und fragte sie, ob es ihr gut ginge und ob die Familie gesund sei. Sie stutzte kurz und bejahte meine Fragen mit strahlenden Augen. Wir kannten uns zwar nicht, aber ich fand, daß man das ruhig mal fragen durfte. Nachdem ich bezahlt hatte, fand ich es angebracht, ihr für ihre Arbeit zu danken, denn so diszipliniert und ruhig, geht es beim Einkaufen bestimmt nicht überall zu! Ihr Lächeln konnte ich durch die Atemschutzmaske sehen und schon hatte auch ich wieder bessere Laune und verzieh der Filialleitung, daß ich die fettige Wurst, die ich immer für meine alte Katze kaufe, weil sie kaum noch etwas anderes frisst, mit einer Packung schlappem Kochschinken ersetzen musste!
Auf dem Heimweg blieb ich wieder unbehelligt, keine Streifen kreuzten meinen Weg.
Zuhause angekommen räumte ich die meist frischen Sachen in den Kühlschrank und freute mich, daß wir auch die kommende Woche gut versorgt sein würden. Wir haben es bestimmt nicht am schlechtesten getroffen: Weil wir Hunde haben, die zweimal am Tag raus müssen, haben wir wenigstens die Gelegenheit ein bißchen an der frischen Luft spazieren zu gehen, während andere sich höchstens darauf freuen dürfen, einmal am Tag den Müll rauszubringen. Auch ist niemand in meiner näheren Umgebung ernsthaft krank oder gar gestorben. Alles in allem zählen wir noch zu den Glücklicheren, nicht zuletzt, weil die spanische Regierung und ganz besonders die Balearen frühzeitig alle Schotten dicht gemacht hat und sich alle an die strengen Regeln halten, damit wir alle bald hoffentlich gesund unser altes Leben wieder aufnehmen können. 


Text: Nadja von der Hocht


Foto:  CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM, Public domain, via Wikimedia Commons