Puk der KnastköterIch kann nicht einmal ansatzweise das Gefühl beschreiben, das einen überfällt, wenn man ahnungslos nach einem langen Gewaltmarsch mit dem eigenen Jagdhund nach Hause kommt und dann feststellt, daß der alte Pflegehund, um den man sich seit Monaten kümmert, spurlos verschwunden ist!

Zuerst glaub man es nicht und schaut in jeder möglichen und unmöglichen Ecke nach, bis man endlich fassungslos vor dem Loch im Zaun steht, durch das es sich buchstäblich durchgefressen hat!

Da hat sich der Drecksack also doch tatsächlich aus dem Staub gemacht. Ausgebrochen aus dem eigenen Zuhause, wo er sich doch so super in unser Rudel integriert hatte und sogar aufgehört hatte, die Katzen zu jagen. Weggelaufen aus heiterem Himmel …. Der dir anvertraute Hund … einfach weg!
Nein, er war natürlich nicht einfach so weggelaufen. Er hatte einen guten Grund: er wäre auch gerne bei dem langen Marsch dabei gewesen. Aber weil er schon etwas betagt und nicht mehr der Fitteste ist, wollte mein Mann ihm die lange Strecke nicht zumuten. Zumal der alte und mittlerweile ziemlich sture Hund die Angewohnheit hat, sich einfach hinzulegen und nicht mehr von der Stelle zu bewegen ist, wenn er erschöpft ist und nicht mehr weiter kann. Mit ihm darf man nur noch kurze Strecken gehen.
Aber weil er schon mal auf unseren viel jüngeren Pauli eifersüchtig ist, die Zuneigung seines neuen Herrchens nicht teilen will und ständig Angst hat, etwas zu verpassen, hat er sich an diesem Tag beharrlich durch den Zaun gebissen, sich durch das Loch gezwängt und ist seinem Rudelführer hinterher gelaufen.
Sich durch den Zaun zu zwängen hat wohl etwas länger gedauert. Er ist ein ziemlich breit gebauter mallorquinischer Schäferhund-Collie-Landstraßen-Mischling und der Zaun wird ihn einige Zeit aufgehalten haben, denn leider hat er die beiden nicht eingeholt, sondern hat schon auf dem ersten Drittel der Strecke schlapp gemacht. Unglücklicherweise ist er nicht wieder nach Hause gelaufen, sondern ist im erst besten Gasthof an der Strecke eingekehrt, um zur Begrüßung erst einmal eine gehörige Stange Wasser direkt an der Theke abzustellen und dann auf dem kühlen Fliesenboden zusammenzubrechen.
Und jetzt kommt das Bedenkliche: Jeder in dieser Gegend kennt diesen Hund. Ganz besonders die Besitzer und die Stammgäste des besagten Lokals wissen sogar wie er heißt und wo er hingehört. Aber hat sich einer mal bei uns gemeldet? Mitnichten! Was stattdessen getan wurde, war sein Foto bei Facebook hoch und runter zu posten und sich die Finger auf dem Schmierhany wund zu tippen, während wir verzweifelt durch die Straßen und Wälder gelaufen sind und nach dem Hund gerufen haben! Als hätte man den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als ständig im Netz rumzuhängen!
Als wir endlich auf die Idee kamen auch im Gasthof zu suchen, war der Tierfänger schon verständigt worden und hatte den Hund 10 Minuten vor unserem Eintreffen bereits einkassiert.
Jetzt wurde es schwierig, denn als nächstes führte uns unser Weg zur örtlichen Polizei. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß wir auf der schönen Balearen-Insel Mallorca wohnen und die spanische Polizei prinzipiell von uns Deutschen ziemlich angenervt ist, besonders während der Sommermonate. Also immer schön freundlich bleiben, egal wie aufgebracht man selbst gerade ist, sonst kommt man bei den Jungs nicht weit.
Mein Mann war immer noch sauer, weil es niemand der Bekannten und angeblichen Freunde es für nötig gehalten hatte, ihn vor dem Tierfänger anzurufen und überließ es mir bei dem einzigen Beamten in der kleinen Amtsstube der Policia Local nach dem Hund zu fragen.
Ja, da war in der Nähe der Urbanisación  ein Hund eingefangen worden. Aber den könne man nicht herausgeben, bevor nicht geklärt ist, ob er gechipt ist und alle Impfungen hat.  Ob wir denn seine Papiere dabei hätten.  Öhm …. nö… die hatten wir nicht. Es war nicht vorgesehen, die irgendwem zeigen zu müssen. Der Hund gehörte seit ewigen Zeiten zum Haus in dem wir wohnten. Und alles drum herum reden und erklären, warum und wieso wir die Papiere nicht hatten und auch nicht wussten, wo wir danach suchen sollten, weil er ja gar nicht uns gehörte und die Besitzerin aber gerade in Deutschland im Krankenhaus war, nützte nichts. Der Beamte blieb hart. Bis neun Uhr heute Abend sei das Büro geöffnet und bis dahin könnten wir ja wieder kommen, wenn wir die Papiere gefunden hätten.  Hasta luego und Adios.
Zurück an der frischen Luft erklärte ich meinem Mann erst einmal das Dilemma, weil er kaum Spanisch versteht und sowie so immer noch die ganze Zeit damit beschäftigt war, vor Wut nicht in Flammen aufzugehen, während ich vergebens versuchte, mit meinem eigens für solche Situationen einstudierten Hundeblick den Polzisten zu erweichen.
Was jetzt? Wir konnten den armen, alten Köter doch nicht im Knast verschimmeln lassen ….
(Auch wenn er es nicht anders verdient hatte, dieser sture, alte  X%Y&Z§!!! Was läuft der auch einfach weg und ist dann auch noch so doof sich von fremden Menschen einfangen und abführen zu lassen anstatt einfach wieder nach Hause zu laufen!?!)
Wir fuhren erst mal nach Hause und versuchten Frauchen zu erreichen. Leider blieben unsere Anrufe unbeantwortet. Dann fiel uns zum Glück ein, dass der Dicke mal vor einiger Zeit Ferien auf einer Tierfinka gemacht hatte und hegten die Hoffnung, dass man dort vielleicht wusste, wo seine Papiere abgeblieben waren.  Dort wurden wir tatsächlich fündig! Der Hund wurde damals zwar abgeholt, aber die Papiere sind dort geblieben, warum auch immer und waren zur Abholung bereit. Also wieder ab ins Auto und nach fast einer Stunde Fahrt erreichten wir die Finka mit der schwer einsehbaren Zufahrt und man händigte uns die Papiere aus.  Mit dem Impfpass in der Hand düsten wir wieder zurück, denn man hatte uns ja versprochen, dass wir den Hund abholen könnten, wenn wir vor neun Uhr wieder da wären.
Zwanzig Minuten vor acht standen wir wieder auf der Wache und winkten fröhlich mit den Unterlagen. Nur saß diesmal ein anderer Beamter hinter dem Tresen und dem musste die Situation wieder neu erklärt werden. Er wusste nämlich nichts von einem entlaufenen Hund.
Er hängte sich sofort ans Telefon und irgendjemand am anderen Ende gab ihm Anweisungen, denn er fragte, was er mir jetzt sagen sollte. Als er wieder auflegte, eröffnete er uns, dass wir uns noch eine Stunde gedulden müssten, denn der Hund sei nach Manacor in die „Perrera“ verbracht worden! Außerdem sei noch eine „Multa“, eine Strafe von knapp 60 Euro fällig. Wenn wir also so gegen neun Uhr wieder kommen würden…
Ich gab mir Mühe mein liebenswürdigstes Lächeln im Gesicht fest zu tackern, gab ihm noch meine Telefonnummer, für alle Fälle und wir verabschiedeten uns erneut.
Wir waren noch nicht ganz zu Hause aus dem Auto ausgestiegen, als mein Handy klingelte und ein netter Herr vom Tierschutz sich entschuldigte, dass das mit dem Hund abholen heute nichts mehr wird. Die Polizei hätte mir zwar versprochen, ich könne ihn heute wieder haben, aber es sei schon zu spät. Er versicherte mir, dass es dem Hund gut ginge, er habe zu trinken und zu essen und morgen zu den üblichen Öffnungszeiten könne man den Hund dann auf der Polizeistation in Empfang nehmen.
Entmutigt legte ich auf. Der ganze Stress umsonst. Alles Abhetzen hatte nichts genützt, der arme Köter musste nun doch eine ganze Nacht und den nächsten halben Tag im „Knast“ verbringen, weil wir beide bis zum späten Nachmittag arbeiten mussten.
Am nächsten Tag, direkt nach der Arbeit, erschienen wir erneut auf der Wache, um einen dritten Beamten nach dem Hund zu fragen, der wieder von nichts wusste. Auch er hängte sich ans Telefon, ließ sich den Impfpass zeigen, dessen Inhalt er durch den Hörer diktierte und erhielt dann endlich vom anderen Ende der Leitung die Anweisung, uns den Hund auszuhändigen. Allerdings erst nach dem Blechen des Strafzettels, wegen fahrlässigem Ausbüxen lassen  eines Hofhundes…
Er gab noch seinem Erstaunen Ausdruck, dass ihm niemand Bescheid gesagt hatte, dass bei ihnen ein Hund auf Abholung wartete. Bestimmt saß der Arme schon seit den frühen Morgenstunden in dem finsteren Loch und niemand hatte sich um ihn gekümmert, geschweige denn mal frisches Wasser hingestellt.
Wir folgten dem Beamten hinter die Wache, wo er sich an einem vergitterten und zweifach verrammelten Verschlag zu schaffen machte. Bevor er die Tür öffnete, bat er uns noch, den Hund direkt in Empfang zu nehmen, falls er bissig sei…  Jetzt konnte ich mir ein Grinsen doch nicht verkneifen. Ich winkte ab, versprach ihm, er wäre friedlich und stellte mich vor die Tür. Der Beamte stellte sich seitlich zur Tür, öffnete sie  und ein strubbeliger, fürchterlich nach Urin stinkender aber überglücklicher Filzball kam auf uns zu geschossen. Hat ihm wohl nicht gefallen, der Aufenthalt im Hundeknast, denn er hüpfte und tanzte so wild um uns herum, dass wir Mühe hatten, ihm die Leine anzulegen.
Der Beamte bemerkte wohlwollend, wie sehr der Hund sich freute uns wieder zu sehen. Er hatte auch einmal einen Hund. Aber jetzt wolle er nie wieder einen, denn als sein alter Rottweiler starb, verlor er damit ein Familienmitglied. Ich sah, wie er schluckte und erzählte ihm, dass das bei uns nicht anders sei. Alle unsere Tiere, und davon haben wir reichlich, sind wie Kinder für uns. Wenn eins davon stirbt oder getötet wird, ist das jedes Mal eine Tragödie. Wir sagen uns auch immer wieder: wenn der letzte vierbeinige Wegbegleiter von uns gegangen ist, kommt nie wieder ein Neues ins Haus! Aber es sind die Tiere, die meist anders entscheiden…
Wir bedankten uns und beeilten uns, den stinkenden Hund ins Auto zu verfrachten.
Wieder zu Hause und nach einer gründlichen Dusche, um den Knastmief los zu werden, lag der alte Ausreißer wieder zufrieden schnarchend im Kreise seines Rudels und tat so, als wäre nichts gewesen, während mein Mann mit allem was er an dickem Draht finden konnte, sich daran machte, das bereits geflickte Loch im Zaun noch eine Runde ausbruchssicherer zu machen.


Text: Nadja von der Hocht

Foto: Nadja von der Hocht