Nadja´s WeltDa wohne ich jetzt schon fast vier Jahre auf Mallorca und habe es bis jetzt ganze drei ein halb mal ins Meer geschafft. Im Sommer, in der Saison, hat man immer so viel zu tun, dass entspannt am Strand zu liegen einfach nicht drin ist.

Und wenn man mal frei hat, hat man wenig Lust ins Auto zu steigen und zum nächsten überfüllten Strand zu fahren, um sich zwischen den wie Sardinen aufgereihten Sonnenanbetern einzureihen.
Aber jetzt hab ich keine Ausrede mehr. Seit neuestem wohne ich keine fünfzig Meter vom Strand entfernt. Ich muss nur über die Straße gehen.

Da ich heute erst zur Spätschicht im Laden antanzen muss, habe ich gestern Abend ganz spontan beschlossen, dass heute der Tag ist, an dem ich im Meer schwimmen gehen werde. …

So weit so gut. Allerdings gestaltete sich die Praxis, wie so oft, weit schwerer als die Theorie und ich hatte mal wieder nicht mit meinen bescheuerten Hirngespinsten gerechnet, diesen fiesen kleinen Stimmen, die mir immer erzählen, dass alles ganz furchtbar ist und mich ständig davon überzeugen wollen, wie schwarz die Zukunft aussieht. Diese lästigen Dämonen in meinem Kopf, die nichts lieber tun, als mir jeden Spaß mit dramatischen, negativen Voraussagen zu vermiesen.

So kam es, dass ich nicht, wie geplant um acht, wenn der Strand noch leer ist, sondern erst so gegen halb elf mich aufraffen konnte, in meinen Uralt-Bikini zu schlüpfen. Die einzige Badebekleidung noch aus Teenagertagen, die ich besitze und mir, nebenbei bemerkt, immer noch passt … Na gut, das Nackenbändchen ist schon seit langem verschwunden und als Teenager war mir das egal. Aber heute hängen die Wölkchen dann doch schon etwas tiefer und ich musste die „Halterung“ kreativer weise mit Omis Brillenkettchen ersetzen. Denn was Körperästhetik angeht, bin ich pingelig. Das war zum Beispiel einer der Gründe, warum ich seit acht Uhr unruhig in der Wohnung herum getigert bin und ewig am Fenster stand und mich fragte, was am Schwimmen im Mittelmeer eigentlich so toll sein soll... Die Vorstellung, jetzt im Bikini alleine, ohne Mann oder Freundin zum Strand zu gehen, behagte mir irgendwie überhaupt nicht. Da sind doch Menschen! Die könnten mich angucken! Dann sehen die meine Speckröllchen! Oder meine Plauze!!

Ich bin jetzt nicht fett oder so. Meine Schenkel haben noch keine Dellen und wenn ich eben genannte Plauze einziehe, sehe ich sogar noch recht schlank aus. Aber Dämon „Selbstbewusstsein“ flüstert mir gerne zu, dass ich besser nicht mehr zu viel Haut zeigen sollte, wenn ich mich nicht der Lächerlichkeit, böser Lästereien hinter meinem Rücken und schräger oder noch schlimmer: mitleidiger Blicke aussetzen will.

Doch dann meldete sich überraschender weise mit strenger Stimme mein lang vermisster Engel namens „Mut“. Sie erinnerte mich daran, dass ich endlich durchziehen soll, was ich mir vorgenommen hatte … und außerdem, könne ich ja gleich nach dem Schwimmen einen Text darüber schreiben, wie bescheuert und neurotisch ich mich schon wieder anstelle. Und ich solle nicht vergessen, diesen Text auf meiner Webseite zu veröffentlichen, für den Fall, dass da draußen noch mehr Frauen sich vor ihrer eigenen Courage verstecken. … Aber ich glaube nicht. Niemand kann so bekloppt sein wie ich. Ich mache ein Thema daraus, zum Strand zu gehen, um zu Schwimmen! Wie armselig ist das, bitte?! Naja, so dient dieser Text vielleicht der allgemeinen Erheiterung und ich hab mal darüber gesprochen … doch nun weiter im Text:

Ich steckte also endlich in meinem Bikini, wickelte mir noch züchtig ein Tuch um den Körper, schlüpfte in die Flip-Flops, griff mir Handtuch und Schlüssel und machte mich todesmutig mit gespieltem Selbstbewusstsein auf den Weg.

Ich überquerte die Straße und erreichte den Strand. Da waren tatsächlich Leute. Sie lagen auf Liegen oder Handtüchern, schmierten sich mit Sonnencreme ein, lasen in Büchern oder schlummerten vor sich hin. Und kaum jemand nahm Notiz von mir! Na, sowas! Der Strand war vollgestellt mit Liegen und Sonnenschirmen. Alle in Reih und Glied. Ich wollte nicht auffällig in der Mitte durch gehen und schlenderte betont lässig am Rand entlang in einem leichten Zickzack-Kurs Richtung Wasser. Jedes Mal, wenn wieder eine barbusige, übergewichtige Omi in meinem Kielwasser auftauchte, senkte ich verschämt den Blick und änderte leicht den Kurs, während ich mich fragte, wofür ich mich eigentlich schämte. Ich ging an spielenden Kindern, Gummitieren und Paddelbooten vorbei und erreichte endlich die Wasserlinie. Es war ziemlich viel Betrieb. Links von mir war der Strand abgesperrt, weil dort Spaßboote zu Wasser gelassen wurden und die erste Linie war schon voll besetzt. Wohin jetzt mit dem Handtuch? „Einfach fallen lassen, da wo du gerade stehst!“ schalt mich mein Engel. „Du willst ja schließlich nicht im Sand herumliegen, sondern ein paar Bahnen schwimmen. Jetzt mach! Dir wird schon keiner die Schlappen klauen!“ Gesagt, bzw. gedacht, getan. Ich schubste die Schlappen von den Füßen, legte mein Handtuch in den Sand, ließ den Schlüssel darauf fallen und wickelte mich aus meinem Strandtuch. Während all dieser Tätigkeiten war ich der festen Überzeugung, dass der gesamte Strand mich beobachtete. Mit gesenktem Kopf zupfte ich mein Höschen aus der Po-Ritze und schlenderte ins Wasser. Erst die Füße, dann die Knie, jetzt die kritische Zone: der Bauchnabel… so kalt war das Wasser gar nicht – was sind das für dunkle Stellen da im Wasser?! Ach, so. Nur Seetang. Und weiter. Gleich kann ich nicht mehr stehen und … ich schwimme!!! Ich machte ein paar kräftige Züge raus aufs Meer und drehte mich auf den Rücken. Mit den Ohren unter Wasser kann man sich super vorstellen, man wäre alleine auf der Welt. Ich guckte in den blauen Himmel, spielte ein bißchen „Toter Mann“ und ließ mich treiben. Da ich aber den totalen Kontrollverlust nicht sehr lange aushalte, tauchte ich mit den Ohren sehr bald wieder auf und paddelte noch ein bißchen weiter hinaus. Dann drehte ich mich um und betrachtete mir das Treiben am Strand. Niemand hatte es interessiert, wie die einsame Frau ins blaue Naß hinab stieg. Da war ein Trio Rentner, die, mit den Füßen im Wasser sich angeregt miteinander unterhielten. Kinder buddelten eifrig Löcher in den Sand oder spielten mit ihren Förmchen, wie ich es als Kind gerne getan hatte. Ich erinnerte mich an meine (fast) sorglose Kindheit und fragte mich kurz, wann ich so eine ängstliche, neurotische, bescheuerte, alte Trulla geworden bin. Doch nur kurz. Eine Mutter paddelte mit ihrer Luftmatratze an mir vorbei, während ihr Sohn mit einer Taucherbrille den Meeresboden beobachtete. Ich schwamm ein wenig Richtung Felsen und umrundete eine Gruppe Franzosen, die sich anscheinend gerade den neuesten Witz erzählten und dabei Wasser in den Mund bekamen. Eine sehr dicke Frau stand bis zum Bauchnabel im Wasser und versuchte sich Seetang aus dem Badeanzug zu schaufeln. Ich steuerte eine sandige, Seetang-freie Stelle an und ging kurz auf Tauchstation. Als Kind habe ich mich gerne am Meeresboden aufgehalten, die Luft angehalten, so lange ich konnte und mir vorgestellt, ich wäre eine Meerjungfrau. Ich konnte sogar die Augen unter Wasser aufmachen und sehen, wohin ich tauchte. Aber heute trage ich Kontaktlinsen und trau mich das nicht mehr. Ich könnte die teuren Dinger ja verlieren. (Erwachsensein ist manchmal echt Scheiße! Als Kind macht man sich über solche Sachen niemals Gedanken)

Ich tauchte wieder auf und sah, wie zwei Opis Kurs in meine Richtung nahmen und steuerte wieder die andere Seite der Bucht an. Ich ließ meinen Blick erneut über den Strand gleiten. Ich konnte niemanden entdecken, der jemand anderen beobachtete. Jeder war mit sich selbst oder seinen Leuten beschäftigt: Ein Jungspund träufelte genüsslich Sonnenöl auf die viel zu knochigen Schultern seiner Freundin, ein Animateur beschäftigte eine Gruppe spanischer Kinder und ließ sie ein Tauziehen veranstalten, ein Quartett knackiger Twens kümmerte sich um gar nichts und briet in der Sonne friedlich vor sich hin. Ein paar Boote lagen im Sand und warteten auf Kundschaft. Der einzige, der außer mir seine Blicke über den Strand wandern ließ, war der Lifeguard in seinem Turm. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: der Einzige, der vor lauter Panik, man könnte beobachtet werden, die Leute beobachtet, war ich! Na so was! Ich tauchte noch einmal kurz unter und entschied, jetzt genug sinnlos in der Gegend herum gepaddelt zu sein. Ich schwamm wieder Richtung Strand und versuchte dem salzigen Naß möglichst elegant zu entsteigen, denn ich musste wieder an den drei Rentnern vorbei, die sich immer noch unterhielten und sich die ganze Zeit nicht von der Stelle bewegt hatten. Könnte ja sein, dass doch noch jemand guckt. Ich klaubte mein Handtuch aus dem Sand und tupfte mich kurz trocken, wrang meine Haare aus, sammelte mein Zeug zusammen und steuerte die Dusche an, um mir den Sand von den Füßen zu waschen. Auf dem Weg dorthin kam ich wieder an jeder Menge unförmiger, teils recht deformierter und dennoch nackter Körper vorbei und startete wieder meinen Slalom, um nicht versehentlich mit dem Blick an der ein oder anderen faltigen und/oder rot verbrannten Brust zu lange hängen zu bleiben.

Wieder zu Hause, mit salziger Haut und nassen Haaren klopfte ich mir mental selber auf die Schulter und war stolz wie Bolle, dass ich das Projekt „alleine Schwimmen gehen“ erfolgreich gemeistert hatte.

Aber das nächste Mal geh ich dann doch lieber etwas früher an den Strand….


Text: Nadja von der Hocht

Grafik: Nadja von der Hocht