Eines Tages wollte ich mit unserem alten 124-er Mercedes in den nächsten Ort fahren um einzukaufen. In letzter Zeit hatte der Wagen eine lästige Macke entwickelt: er ging manchmal mitten während der Fahrt aus und ließ sich nur schwer wieder starten.

Er war deswegen schon ein paar Mal in der Werkstatt, aber immer wenn wir ihn vorführten, lief der Motor vorbildlich und schnurrte wie ein Kätzchen.  Also schickte man uns immer wieder unverrichteter Dinge nach Hause, weil ja nichts gefunden wurde. Groß gesucht wurde allerdings auch nicht.
Also war ich an besagtem Tag allein mit dem Wagen unterwegs, um ein paar notwendige Besorgungen zu machen. Ich hoffte inständig, dass ich in keinen Stau geriet und nicht zu lange an irgendwelchen Ampeln anhalten musste. Denn immer, wenn man vom Gas ging, fing der Motor an zu stottern und verendete, wie ein krankes Hühnchen.  Das machte er, wie gesagt, nicht immer, aber immer öfter.
Ich hatte es bis in den nächsten Ort geschafft und es war nicht mehr weit, bis zu meinem Ziel, als ich doch noch an einer Ampel halten musste. Ca. 10 Meter vor der Ampel musste ich hinter zwei weiteren Autos stehen bleiben. Der Wagen stand, ging aus und ließ sich nicht mehr starten. Die Ampel wurde wieder grün und ich bekam den Wagen nicht vom Fleck. Hinter mir ging schon das Gehupe los. Jetzt nur nicht nervös werden! Warnblinkanlage an und ganz ruhig versuchen, den Motor wieder zu starten. Es half nichts. Nach vier Mal Schlüssel umdrehen, gab der Wagen nicht mal mehr ein Geräusch von sich. Nach weiteren Fehlversuchen ließ sich nicht mal mehr der Schlüssel bewegen und auch der Automatikschalter klemmte. Es ging nichts mehr. Ende. Ich stand mit meinem Kombi mitten auf der Straße und blockierte die Ampel. So, was jetzt… Ich stieg aus und kramte das Warndreieck aus dem Kofferraum. Ich brachte es einige Meter hinter meinem Wagen in Position, damit die anderen Verkehrsteilnehmer früh genug mitbekamen, dass sie mich auf der Gegenfahrbahn überholen müssen, wenn sie über die Ampel kommen wollen. Klappte auch alles ganz gut. Niemand hupte mehr und der Verkehr floss mehr oder weniger zügig weiter. Allerdings braucht hier keiner zu meinen, dass auch nur irgendjemand angehalten hätte um zu helfen!
Ich stieg wieder ins Auto und wühlte in meiner Tasche nach meinem Handy. Ich hatte es tatsächlich dabei! Und es war sogar aufgeladen!  (Ich stamme noch aus der Generation, die weiß, wie eine Telefonzelle ausgesehen hat und ich habe mich nie daran gewöhnt, diese lästige Strahlenschleuder namens „Handy“ ständig mit mir rumzuschleppen.) Fein! Wen rufe ich jetzt an? Mein Mann war geschäftlich außer Landes. Vielleicht meine Eltern? Ob die kommen, um mich abzuschleppen? Aber einen Automatikwagen darf man doch gar nicht abschleppen! Naja, ich kann ja wenigstens mal durch klingeln und Bescheid sagen, was mir passiert ist. Aber es war vergebens. Meine Eltern haben zwar beide ein eigenes Handy. Aber die haben sich noch viel weniger als ich daran gewöhnt die Dinger immer in Reichweite zu haben. Die Teile waren noch nicht mal an. Ich habe zwar eine Nachricht hinterlassen, aber ich bin ziemlich sicher, dass die bis heute nicht abgerufen wurde.
Da saß ich also allein in meinem toten Auto, während der Verkehr um mich herum floss und sich niemand die Mühe machte, mal nach dem Rechten zu fragen. Also schön! Wie geht’s jetzt weiter? Der Wagen muss hier weg. Wer hilft? Na klar! Der ADAC!! Wozu zahlen wir denn seit Jahren brav unseren Beitrag? Wir mussten die Gelben Engel noch nie in Anspruch nehmen. Heute war also der große Tag. Gut, dass ich das Kärtchen mit der Telefonnummer immer im meinem viel zu dicken Portemonnaie mit mir herumschleppe. Mein Mann lacht mich immer aus, weil darin mehr  Visitenkärtchen als Geldscheine stecken. ( Und auf die Idee, die Nummern alle in mein Handy zu tippen, bin ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekommen.) Ich wählte also die Nummer des ADAC und war gespannt, was jetzt passieren würde. Es meldete sich sofort eine sehr nette Frauenstimme am anderen Ende. Ich erklärte ihr meine Situation und Position und sie versprach sofort Hilfe. Sie würde gleich einen Wagen zu meinem Standort schicken, der in ca. einer Stunde ankommen würde. So lange sollte ich zu meiner eigenen Sicherheit außerhalb des Fahrzeugs warten. Ich war wenig begeistert, weil es zu allem Überfluss auch noch zu regnen begann. Aber ich befolgte den guten Rat und wartete brav draußen auf dem Bürgersteig in meine dünne Jacke gewickelt. Das konnte ja noch lustig werden. Ich versuchte mich ein wenig vor dem Regen unter dem schmalen Dach eines Schaufensters zu schützen. Und dann passierte so etwas wie ein Wunder: Die Verkäuferin aus der Boutique, vor der ich stand, kam doch tatsächlich raus und fragte, was mir denn passiert sei und ob sie helfen könne und ob sie vielleicht jemanden für mich anrufen soll! Ich schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln und erklärte, dass der ADAC bereits unterwegs wäre. Erleichtert wünschte sie mir noch viel Glück und verschwand wieder in ihrem Laden. Nach ziemlich genau einer Stunde kam er dann tatsächlich, der Gelbe Engel. Er parkte sein „Rettermobil“ auf dem Bürgersteig schräg hinter meinem Wagen und … blieb drin sitzen. Vielleicht war er wasserscheu? Es regnete ja immer noch. Mir war das egal, ich war ja schon durchnässt und ich war so froh, ihn zu sehen, dass ich zu seinem Wagen lief, um ihn zu begrüßen. Zögerlich öffnete sich die Fahrertür und ein ziemlich missmutiger und wie sich später herausstellte, extrem überheblicher Gelber Engel stieg aus. Meine Hand, die ich ihm entgegenstreckte, übersah er geflissentlich. Er fragte auch nicht nach, wo das Problem mit dem Wagen lag. Vielleicht war er nur schüchtern? Oder er war genervt, dass er so weit von der nächsten Autobahn in die Pampa fahren musste. Was weiß ich. Ich wollte jetzt dass der Kerl mir hilft, den Wagen von der Straße zu kriegen also übersah ich seinen Mangel an guten Manieren und erklärte ihm unaufgefordert, dass der Wagen nicht mehr ansprang, dass der Schlüssel klemmte und dass sich auch der Automatikschalter nicht mehr bewegen ließ. Er ging während ich redete vor mir her, setzte sich ins Auto, ruckelte ein paar Mal am Schalthebel, drehte den Schlüssel, der sich plötzlich wie durch Zauberhand wieder bewegen ließ, im Zündschloss und startete den Wagen! Da stand ich nun mit offenem Mund und kam mir sowas von bescheuert vor!! Du blöde Mistkarre! Wieso springst du jetzt ohne Mucken an! Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich sah, wie mein Engel die Mundwinkel verzog. Spitze! Was hält der jetzt von mir? Ruft die blöde Blondine doch tatsächlich den ADAC, weil sie zu doof ist, ihren Wagen anzulassen?! Ich lächelte tapfer weiter und gab meiner Verwunderung in blumigen Worten Ausdruck und versicherte nachdrücklich, dass sich bis eben weder Zündschlüssel noch Schalthebel gerührt haben. Er sagte nur, ich solle erst mal den Wagen von der Straße in die nächste ruhige Seitengasse fahren. Also packte ich mit vor Scham hochrotem Kopf mein Warndreieck wieder ein und steuerte den Kombi über die Kreuzung in die nächste Querstraße. Ich hielt am nächsten Bürgersteig an, weil ich den Wagen auf dem kurzen Stück bereits zwei Mal neu starten musste. Mein Engel hielt ebenfalls an und fragte leicht gereizt, warum ich nicht weiterfahren würde. Ich erklärte ihm, dass der Motor immer wieder ausgehen würde und schlug vor, zu versuchen das Auto auf dem öffentlichen Parkplatz gegenüber abzustellen und zu untersuchen. Ich schaffte es auch tatsächlich ihn noch mal anzulassen und ihn auf dem Parkplatz im Schatten eines Baumes abzustellen. Ich stieg aus und öffnete vorsorglich die Motorhaube, denn ich war der irrigen Annahme erlegen, dass mein hilfsbereiter Engel jetzt in seine Trickkiste greifen würde, um dort diverse Diagnosegeräte hervorzuzaubern, mit denen er dann feststellen würde, was meinem alten Kombi denn fehlen würde. Und vielleicht hätte er sogar das passende Ersatzteil dabei, um mein heiliges Blechlein wieder fahrtüchtig zu machen… Ich hab einfach zu viel Phantasie. In der wirklichen Welt passierte nämlich folgendes:  Mein schlechtgelaunter Engel warf einen kurzen, leicht angewiderten Blick auf den Motorblock und erklärte mir, was ich denn für ein altes Modell fahren würde und wie anfällig es für dieses und jenes sei und dass da wohl ein neues Auto fällig wäre. Ich traute meinen Ohren nicht! Machte der blöde Westenträger etwa gerade mein Auto schlecht!? Meinen treuen 124-er, der schon ohne Murren ganze Wohnzimmerlandschaften auf seinem Dach kilometerweit transportiert hat? Meinen Sechszylinder, der immer noch mit Leichtigkeit jeden Hausfrauenporsche auf der Bahn versägt?! Meinen geliebten Benz, das meist geklaute Auto der Welt?!!! Ich hatte ernsthafte Schwierigkeiten die Kontrolle über meine Mimik und meine Fäuste zu behalten! Was hätte ich dieser unnützen Person gerne die Milchzähne geputzt! Aber … sowas tut man ja nicht. Mein Superengel  machte keinerlei Anstalten, den Motor auch nur anzufassen. Stattdessen empfahl er mir, jetzt nach Hause zu fahren. Er würde vorsichtshalber noch ein Stück hinter mir her fahren. Völlig desillusioniert stieg ich ein und startete den Motor. Ich trat ein paar Mal kräftig aufs Gas und ließ den Motor aufheulen. Dann trat ich vorsichtig den Heimweg an. Immer wenn ich das Gefühl hatte, gleich stirbt er mir wieder ab, trat ich im Leerlauf aufs Gas. Das ging auch eine Weile gut. Im Rückspiegel behielt ich immer den ADAC-Wagen im Auge. Noch war er da. Doch dann ließ er sich immer weiter zurück fallen und bei der nächsten Gelegenheit bog er ab und ward nicht mehr gesehen. Keine Zwei Minuten später ging der Motor wieder aus.  Irgendwie schaffte ich es ganz allein nach Hause. Auf dem Weg starb der Wagen noch zwei Mal ab. Immer mitten während der Fahrt. Als ich endlich in die Garage fuhr machte ich drei Kreuzzeichen und hab den Wagen bis zur Rückkehr meines Mannes nicht mehr bewegt. Das war eine Erfahrung, auf die ich gern verzichtet hätte und was den ADAC angeht: ich kann nur hoffen, dass ich an diesem Tag das einzige schwarze Schaf aus der Flotte erwischt habe und dass der Rest der Gelben Engel mit ein bisschen mehr Enthusiasmus an ihre Arbeit geht. Vor allem wenn das nächste Mal eine Frau mutterseelenallein auf der Straße steht und nicht weiter weiß. Ein wenig Zuspruch hätte da schon geholfen auch wenn der Wagen nicht mehr zu retten ist!


Text:
Nadja von der Hocht

Foto: Nadja von der Hocht