Schon als Kind hat man sie zu fürchten gelernt. Sie taucht am Wegesrand, an Waldrändern und im eigenen Garten auf. Fasst man beim Spielen, beim Blumenpflücken oder bei der Gartenarbeit ohne Handschuhe versehentlich in sie hinein, rächt sie sich sofort mit einem stechenden Brennen, das unangenehm lange anhält und unschöne Quaddeln auf der Haut verursacht, für die ungebetene Berührung: die Brennnessel.
In der Natur geht man ihr aus dem Weg und im eigenen Garten will man das Schmerzen verursachende „Unkraut“ zwischen seinen liebevoll gehegten Zierpflanzen nicht haben.
Rosen, Tulpen und Nelken sind zwar hübsch anzusehen und mögen das Auge erfreuen, aber ansonsten sind sie ziemlich nutzlos. Nicht so die Brennnessel. Trotz ihrer eingebauten Schutzfunktion zählt sie zu den stärksten Heil- und Nutzpflanzen überhaupt und schon Hildegard von Bingen wusste von ihrer Wirkung zu berichten. Entdeckt man also so ein junges, nesselndes Pflänzchen, daß sich frecherweise zwischen den Stiefmütterchen oder im Gemüsegarten ungefragt breit gemacht hat, sollte man sie nicht sofort mit Stumpf und Stiel ausrotten, sondern lieber warten, bis sie noch ein wenig gewachsen ist, um sich einen blutreinigenden Tee aus ihr zu machen, denn von der Brennnessel lassen sich die Blätter sowie die Stängel verwerten.
Von den Brennnesselgewächsen (Urticaceae) sind dreißig bis siebzig Arten bekannt, die weltweit vorkommen. Die in unseren Breitengraden bekannteste Art, ist die Große Brennnessel (Urtica dioica), mit der bestimmt schon jeder irgendwann mal seine Erfahrung gemacht hat.
Je nach Art, Standort und Nährstoffsituation können Brennnesseln zwischen zehn und dreihundert Zentimeter hoch werden, wenn man sie lässt. Die grünen Pflanzenteile sind reichlich mit borstigen Brennhaaren gespickt, die bei Berührung sofort juckende Quaddeln verursachen, und die gezackten Blattränder lassen die Pflanze schon von weitem als „gefährlich“ erahnen.
Es ist zwar ein gemeines, kleines Konstrukt, das sich die Natur da ausgedacht hat, trotzdem darf man sich freuen, wenn sich die Brennnessel den heimischen Garten als Standort zum Blühen und Gedeihen ausgesucht hat. Denn die Pflanze ist nicht nur von der Wurzel bis zur Blüte mannigfaltig verwendbar, sie dient auch ca. fünfzig verschiedenen Schmetterlingsarten, wie dem Admiral, dem Landkärtchen oder dem Tagpfauenauge als Lebensraum.
Und wer würde sich nicht über eine Vielzahl bunter, lustig tanzender Schmetterlinge in seinem Garten freuen, die beim Blütenbestäuben behilflich sind?
Den Raupen dieser Schmetterlinge dient die Brennnessel als Nahrung. Erstaunlicherweise kann man an den nesselbespickten Blättern der Brennnessel oft jede Menge Fraßspuren von Raupen erkennen, da die kleinen Verfressies tatsächlich ihre eigene Strategie entwickelt haben, die Blätter aufzumampfen, ohne die Nesselhaare zu berühren. Sie futtern einfach darum herum, beknabbern das Blatt von unten oder folgen den Blattadern und Blatträndern, da sich da keine Brennhaare befinden.
In der Tat ist es sehr hilfreich genau zu wissen, wo sich die bösen Brennhaare befinden, will man mal für sich selbst ein paar Pflanzen pflücken, ohne sich zu „verbrennen“. Die wehrhafte Pflanze lässt sich nämlich nicht nur als Tee trinken, sondern man kann sie ebenso gut als Gemüse oder im Salat verarbeiten. Junge Brennnesseltriebe haben nämlich einen hohen Gehalt an Mineralstoffen wie Magnesium, Kalzium und Silizium, Eisen, sowie Vitamin A und besitzen etwa doppelt soviel Vitamin C wie Orangen. Auch ihr relativ hoher Eiweißgehalt wird wieder hoch geschätzt. Der Geschmack der Brennnessel ist sogar aromatischer als Spinat und feinsäuerlich.
Schon in der Antike hat man Brennnesseln gesammelt und als Nahrungsmittel verwendet. Man machte daraus Suppe oder Tee oder gab es beim Kochen zum Fleisch dazu, um es zarter zu machen. Sogar als Ersatz für Lab fand die Brennnessel bei der Käseherstellung Verwendung.
Im bioligischen Gartenanbau wird die Brennnessel heute noch oder wieder gerne zu Dünger oder Jauche verarbeitet. Dabei soll die Brennnessel nicht nur als Dünger fungieren, sondern sogar die mit der Jauche behandelte Pflanze gegen Schädlinge wiederstandsfähiger machen.
Im Altertum hat man sogar Textilien aus den Fasern der Brennnessel hergestellt. Daran erinnerte man sich wieder, als im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts plötzlich die Baumwolle knapp wurde. Das Ende der Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten mag dafür ein Grund gewesen sein, denn ein Großteil der Baumwolle kam damals von den von Sklaven bearbeiteten Plantagen der Südstaaten. So galt die Brennnessel um die Jahrhundertwende als das „Leinen der armen Leute“ und auch ein paar Jahrzehnte später griff man in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges wieder zur Brennnessel statt zur Baumwolle für die Herstellung von Armee-Bekleidung.
Sogar als Färberpflanze eignet sich das pieksige Wunderkraut. Mit dem ein oder anderen Färberknow-how erhält man mit der Wurzel der Brennnessel ein wächsernes Gelb, während man mit den oberirdischen Teilen ein kräftiges Graugrün erzielen kann. Da der Farbton allerdings vom Zeitpunkt des Pflückens und Färbens abhängt, eignet sich die Pflanze nicht für die industrielle Massenproduktion, weshalb ihre Färbeeigenschaften schon wieder drohen in Vergessenehit zu geraten.
Zu guter Letzt existieren noch ein paar Lustige Bräuche oder Aberglaube rund um die Brennnessel:
Nimmt man besipielsweise am Gründonnerstag eine ordentliche Portion Brennnesselgemüse zu sich, soll das im kommenden Jahr vor Geldnot schützen.
Ein allgemein gutes Neues Jahr sichert man sich, verspeist man am 1. Januar einen leckeren Brennnesselkuchen, dessen genaues, glückbringendes Rezept leider nicht überliefert ist…
Traut man sich fünf Nesselblätter in der bloßen Hand zu halten, soll das dabei helfen, frei von Furcht und bei kühlem Verstand zu bleiben.
Den Brennnesselpfannkuchen gibt es dann am Johannistag, um sich gegen Nixen- und Elfenzauber zu wappnen.
Nach der Kenntnissnahme dieser Pflanze, vollgepackt mit so viel wundersamer Superpower, schadet es also nicht, beim nächsten Spaziergang durch die Natur, sein wachsames Auge auf das unbeachtete Gestrüpp am Wegesrand zu richten. Vielleicht entdeckt man zwischen der Spontanvegetation ein zartes Nesselpflänzchen, das gerne zu einem leckeren Tee verarbeitet werden möchte. Nur bitte nicht da pflücken, wo die Leute ihre Fifis Gassi führen...
Text: Nadja von der Hocht
Beitragsbild: Große Brennnessel (Urtica dioica)
Glenn at da.wikipedia, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Grafik: Brennnessel und Pflanzenteile
User:Kilom691, Public domain, via Wikimedia Commons
Foto: Admiral (Schmetterling)
Christian Fischer, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Foto: Landkärtchen (Schmetterling)
Jörg Hempel, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Foto: Tagpfauenauge (Schmetterling)
Jörg Hempel, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons
Foto: Eier des Admirals (Schmetterling) an der Blattunterseite einer Brennnessel
Emmanuel Boutet, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Foto: Brennnesselsuppe
Ewan Munro from London, UK, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Foto: Hemd aus Brennnesselfasern
Chromečková, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons